Das Geheimnis

Quelle: Lennhoff, Posner, Binder

Einer der Hauptangriffspunkte gegen die Freimaurerei ist ihr Geheimnis. Dieser Vorwurf kehrt seit den ersten päpstlichen Bullen gegen die Freimaurerei bis in unsere Tage in allen gegnerischen Schriften wieder, trotzdem das Geheimnis des Freimaurers durch Bekanntmachung aller seiner Einrichtungen schon unzählige Male "verraten" worden ist. Das freimaurerische Geheimnis ruht in den Gelöbnisworten, die der Lehrling bei der Aufnahme dem Meister vom Stuhl nachspricht. Er gelobt, über das Gebrauchtum, die Erkennungszeichen und die inneren Angelegenheiten derLoge unverbrüchliche Verschwiegenheit zu bewahren.

Beginnen wir beim letzten Punkte: Jede Gemeinschaft hat ihr "Geheimnis", d. h. sie will nicht, daß ihre inneren Angelegenheiten Außenstehenden bekannt werden. Es werden in zahllosen Vereinen Sitzungen als vertraulich erklärt, es wird Vorstandsmitgliedern eine ehrenwörliche Verplichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit abgenommen, es gibt ein Dienstgeheimnis, jede Familie hat gegenüber anderen Familien ihre bestimmten Vertraulichkeiten, die sie für sich bewahrt, wir kennen Fabrikationsgeheimnisse u.a m. Wenn man der Freimaurerei ihr ebenso geartetes "Logengeheimnis" verübelt, so liegt dies in erster Linie in der Vorstellung, die man sich von ihr fälschlich als einem weltumspannenden, politisch gerichteten, Umsturz planenden Geheimbund macht. Ein solcher ist sie aber eben nicht. Ein Geheimnis läßt sich nur unter wenigen bewahren. Mehr als vier Millionen Menschen, die verschiedenen Rassen, Religionen, Nationalitäten, Berufsschichten angehören, können ihr Geheimnis nicht behalten, ohne daß es verraten würde. Was als Geheimnis bisher aufgedeckt wurde - und es ist wohl schon alles "verraten" worden - hat höchstens in den hierfür geeigneten Köpfen die Gestaltung eines verbrecherischen Geheimbundes erzeugen können (s. Ludendorff).

Als Bund hat also der Freimaurerbund keinerlei Geheimnis, das sich auf die Welt und deren Gestaltung beziehen könnte, insbesondere aber kein politisches Geheimnis. Das, was der Freimaurer als Geheimnis bezeichnet, hat nichts mit Geheimniskrämerei zu tun, bezieht sich nicht auf Religion, Politik, soziale Probleme, Moral usw., es liegt in seinem Wesen als Mysterien-Männerbund. Es ist das Geheimnis des persönlichen Erlebens einer Kulthandlung, die an dem Neophyten der einzelnen Grade als an einer abgestimmten, der Weihe zugänglichen Seele vollzogen wird. Dieses Geheimnis bezieht sich somit auf das Gebrauchtum. Und es wird aufrecht erhalten, auch wenn man Ritual- und Symbolerläuterungen überall erwerben kann und neuerdings [1932] (z. B. in Deutschland) von Gegnern in öffentlichen Versammlungen Rituale vorgeführt werden. Denn, was wird dabei verraten? Zeremonien, Hülle, aber nichts vom esoterischen Geheimnis. Das Gebrauchtum, ohne das Erlebnis seiner ethischen Bedeutung, ohne schöpferisches Mitschaffen, muß den Nichteingeweihten so leer anmuten, wie um die Musik heranzuziehen das Lesen einer Partitur denjenigen, in dessen Seele sich die Notenbilder nicht sofort zu Akkorden und Harmonien formen. Dieses Geheimnis aber, dieses Eingehen ins innerste Heiligtum der Königlichen Kunst, dieses seelische Einswerden mit Brüdern in aller Welt ist nicht mittelbar, ist nur erlebbar, auch wenn das gedruckte Ritual noch soviel zu sagen scheint. "Das eben ist das wahre Geheimnis, das, allen vor Augen, Euch ewig umgibt, aber von keinem gesehen."Bei der Abgeschlossenheit der Tempelarbeit gegenüber der Außenwelt spielt aber auch die Furcht vor Profanierung eine große Rolle, die Befolgung des klugen Satzes des Horaz: "Odi profanum vulgus et arceo!" Nicht um müßige Neugierde zu erregen, nicht um durch Geheimniskrämerei ohne Geheimnis zu locken, sondern um dem geistigen Bauen in der Loge die wahrhafte Weihe zu erhalten, ohne die ihm der Lebensnerv zerschnitten wäre. "Gewissen Geheimnissen, und wenn sie offenbar wären, muß man durch Verhüllung und Schweigen Achtung erweisen", sagt der Freimaurer Goethe, dem das gleiche Thema die bedeutsamen Verse eingab:Niemand soll und wird es schauen, Was einander wir vertraut. Denn auf Schweigen und Vertrauen ist der Tempel aufgebaut. Die Erkennungszeichen schließlich werden aus sehr begreiflichen Gründen geheimgehalten. Deren Besitz ist ein Schlüssel zu anderen Menschen. Sie geben das Recht auf Forderungen auch persönlicher Natur. Allerdings wird heute von allen erfahrenen Freimaurern ohne weiteres zugegeben, daß ein regelrecht ausgestellter Logenpaß schwerer wiegt als die beste Kenntnis der Zeichen. Diese haben aber einen uralten Traditionswert und überdies auch symbolische Bedeutung. Daher hält die Freimaurerei an ihnen fest und hält sie geheim auch wenn sie die Profanierung dieser Zeichen nicht immer verhindern kann. Es darf hier vielleicht darauf hingewiesen werden, daß das vorliegende Wörterbuch so viel von der Freimaurerei enthüllt, daß tatsächlich nur die Veröffentlichung der Rituale und die genaue Schilderung der Erkennungszeichen zur Vollständigkeit fehlen. Und die sind eben das Geheimnis.

Geheimnis, Das wahre

Quelle: Lennhoff, Posner, Binder

Jedes der im 18. Jahrhundert entstandenen unterschiedlichen Systeme der Freimaurerei behauptete, das "wahre Geheimnis" der Freimaurerei zu besitzen. Besonders in der Strikten Observanz, in dem der Freimaurerei nahestehenden Gold- undRosenkreuzerorden und den diesen beiden nahestehenden Riten wurde mit einer gewissen Verachtung auf die banalen Werkhüttengeheimnisse herabgeblickt. Was von den Geheimnissen dieser verschiedenen Nutznießer des Freimaurertums zu halten ist, kommt in einem zeitgenössischen Urteil zum Ausdruck (Unbekannter im Köthener Taschenbuch fur Freimaurer auf das Jahr 1803), ein Urteil, das so wahr ist daß es heute geschrieben sein könnte:

"Bis 1740 hatten die Freimaurer von keinem Geheimnisse gesprochen; ob sie gleich eine geheime Gesellschaft sein wollten; aber seit diesem Jahre fing ein Geschrei von Geheimnissen an. Lange waren Maurer und Profane überzeugt: es gebe Geheimnisse im Orden. Kluge behaupteten, sie zu kennen, und wollten sie nicht mittheilen, selbst dem Bruder nicht; Thoren suchten sie gegen jener Willen zu erforschen. Die heilige Philologie, die sich einst für das Centrum der Weisheit ansah und für den einzigen Massstab, Männerwerth zu berechnen gelten wollte — diese heilige Einfalt kramte in den Antiquitäten; der Name Maurer war ihre Laterne, ihr Knäuel Ariadne's, der aus dem Labyrinthe helfen sollte. Von Seth's Säulen bis auf Salomon's Tempel, von Roms Capitole bis auf die Paulskirche in London war jedes Gemäuer Denkmal der Freimaurerei; und es gab im Ernst der Thoren nicht wenige, welche die verborgene Weisheit der ägyptischen Priester, die geheime Lehre der Eleusinien, neue Ergänzungen alter Schriftsteller, verlorene Künste Hetruriens und Gott weiss welche andere Herrlichkeiten der Antiquare wieder aufzufinden hofften.

Man deutete und suchte, solange die heilige Einfalt noch herrschte; aber eine sogenannte liberale Philosophie errang den Vortritt; und jene Deutungen machten andern Platz. Theologen suchten bald die Vereinigung aller Religionen in eine natürliche, bald Wiederherstellung des Katholicismus; und alle Proteste der Bruderschaft, dass der Orden sich um Religion gar nicht bekümmere, gar nicht bekümern dürfe, halfen zu nichts als jene Vermuthung: da stecke das Geheimniss, nur fester zu begründen. Katholische wie protestantische Inquisitoren gingen mit gleicher Heftigkeit auf die Brüder los, die bald Atheismus bald Jesuitismus predigen sollten; und noch bis heute haben beide Meinungen über den Gehalt des Geheimnisses der Freimaurer noch eine gleich erbitterte Menge Anhänger.

Religiöse Schwärmer suchten und fanden ein religiöses Geheimniss, bald innige Vereinigung mit Gott, die zur moralischen Vollkommenheit hebe und von Erleuchtung des Innern ausgehe — Verbindung mit den seligen Geistern, welche den Tempel der Freimaurerei allein noch nicht ganz verlassen hätten und dem Maurer das Vorgefühl der künftigen Seligkeit gäben — bald Erhöhung der menschlichen Kräfte zur schaffenden Gotteskraft hinauf durch den Glauben, der Berge versetzt, und die Gaben des Gottesgeistes, wie sie die ersten Jahrhunderte des Christenthums zu sehen meinten, haben die Theologen ihre Meinungen behalten und mit Erbitterung vertheidigt — gewiss! diese Schwärmer thaten es auch. Im geweihten Kreise meinten sie mit Henoch und Methusalah zu wandeln, und mit Moses, Elias und Jesus das Brot zu essen.

Freunde der Natur meinten: Eindringen in das Innere der Natur sei des Freimaurers Pflicht und Zweck sein Geheimniss die gemachten Entdeckungen: Goldmacherei, Stein der Weisen und treffliche Arcana gegen alle Uebel Leibes und der Seele. Vom Tross der gewöhnlichen Handwerksmaurer sonderten Gold- und Rosenkreuzer sich ab, um ungehindert auf mancherlei heiligen und unheiligen Wegen ins Innere zu dringen und die Decke wegzunehmen welche die Werkstatt der Natur verhüllt. Andere speculative Köpfe glaubten, die Freimaurerei sei durch die alles zernagende Zeit entnommen der Bürde, ein Geheimniss zu bewahren, und beeiferten sich, ihr eins zu geben - weil sie doch eins haben müsse — Historiker den Orden längst vergessener Ritter, und Intriganten ein Klerikat, jeder wollte auf seine Art Commenden und Pfründen stiften, zu welchen die Brüder gelangen sollten. Ein Plan jagte den andern und konnte es; denn die auf losem Sand errichteten Tempel wehte der Wind um."

Ähnlich äußerte sich der Begründer des Illuminatenordens, Weishaupt:

"Unter allen Gegenständen des menschlichen Wissens schicken sich für geheime Verbindungen keine Kenntnisse weniger als theoretische oder speculative, es sei nun, dass die Gesellschaft die Erforschung oder die Mittheilung dieser Kenntnisse zum Zweck ihrer Verbindung machen will. Mit blossem Wissen und Theorien ist der Welt sehr wenig gedient. Nur schwache und unerfahrene Menschen stehen in dem Wahne, dass es uralte, verborgene, höchst wichtige Ueberlieferungen gebe. Dies alles ist blosses Vorgehen schlauer Betrüger, welche ihren eigenen Einfällen und Geburten durch diesen uralten Kunstgriff die Aufnahme und Verbreitung erleichtern wollen. Ein solches Vorgeben kann der Kritik und nähern Prüfung nie widerstehen. Der so nöthige Beweis aus der Geschichte kann für die ältere Abstammung solcher Lehren nie auf eine befriedigende Art geführt werden; und man sündigt zu sehr auf den Leichtglauben der Menschen wenn man bei uns den Wahn erwecken will, als ob das menschliche Geschlecht ausser den bekannt gewordenen Schätzen des Alterthums noch ungleich wichtigere Aufschlüsse aus den Ländern und Zeiten der Unwissenheit durch den so betrüglichen Weg einer geheimen Ueberlieferung zu erwarten hätte."

Das wahre Geheimnis der Freimaurerei liegt im Innerlichwerden der freimaurerischen Lehren und ihrer Nutzanwendung auf die eigene Persönlichkeit und die menschliche Gesamtheit. Darüber hinaus kann es kein "wahres Geheimnis" geben. Nur Dünkel konnte diesen Begriff schaffen. Es muß aber zugegeben werden, daß es auch heutigentags Zirkel gibt, die in der Freimaurerei nur eine Vorstufe zur Erkennung des "wahren Geheimnisses" sehen wollen, das in der Verbindung der Freimaurerei mit esoterischen Neigungen, wie etwa bei Bô Yin Râ. a., gelegen sein soll (s. EBDAR).

Die Flucht vor den Wirklichkeiten des Lebens treibt einzelne Freimaurer, und nicht nur diese, in ein Wunschland weltabgewandter Spekulationen. Es gibt ein Geheimnis der Freimaurerei, eingeschlossen im Erlebnis der Weihe und in den Erkennungszeichen. Das "wahre Geheimnis" aber ist das Produkt eines geistigen Hochmuts, dem in Bezug auf die Freimaurerei jeder innere Wert und jede Berechtigung abzusprechen ist.

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